Wirtschaft kann nicht ohne Natur, Natur nicht ohne Wirtschaft begriffen werden. Seit dem Ölschock und dem zeitgleich erschienenen Club of Rome-Bericht über die Grenzen des Wachstums wird über das Spannungsfeld von Wachstum und Umwelt in Politik und Wissenschaft breit diskutiert. Mit der industriellen Revolution und einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung, die Konkurrenz und Wachstum ins Zentrum stellte, wurden Produktivkräfte ungeahnten Ausmaßes freigesetzt und Reichtümer angehäuft. Die Beherrschung der Natur wurde zur modernen Vorstellung von Rationalität und Fortschritt. Das Prinzip, durch Berechnen beherrschen zu können, leitete den Umgang mit Mensch und Natur.
Kapitalistische Entwicklung braucht Wachstum, das die Grundlage wirtschaftlicher und politischer Macht ist und die Ressourcen liefert, den Lebensstandard der eigenen Bevölkerung zu heben. Im Kapitalismus sind Wachstumskrisen wie die Weltwirtschaftskrise 1929 existenzgefährdend. Die 1930er Jahre brachten nicht zufällig Verelendung, Diktatur und Krieg. Umgekehrt war Wachstumspolitik für Konservative und Linke gleichermaßen der Weg, um Verteilungsprobleme zu lösen: in den USA genau so wie gegenwärtig durch die Kommunistische Partei Chinas. Statt in mühsamen Konflikten umzuverteilen, wird der Kuchen durch Wachstum größer und erlaubt es, alle an den Verbesserungen teilhaben zu lassen. Das war die Grundlage des europäischen Wohlfahrtsstaats und ist es heute in vielen Entwicklungsstaaten an der Peripherie.
Im 20. Jahrhundert erfolgte in Westeuropa eine wohlfahrtsstaatliche Zähmung des Kapitalismus. Mittels Massenproduktion für den Massenbedarf wurde die Teilhabe bislang ausgeschlossener Bevölkerungsgruppen an der Konsumgesellschaft der reichen Länder Realität. Doch diese Teilhabe einiger beinhaltete den Ausschluss eines Dritten. Dieses hatte mehrere Namen: das männliche Erwerbsarbeitermodell wies Frauen den Haushalt als Arbeitsplatz zu; der sozialpartnerschaftliche Kompromiss zwischen Arbeit und Kapital ging auf Kosten einer Übernutzung der Natur und eines Ignorierens langfristiger Probleme. Die Fabrik und das Kraftwerk – in Österreich Kaprun, wo ein Tal teilweise überflutet wurde, und die VÖEST, die Linz jahrzehntelang zu einer reichen, aber unter Luftverschmutzung leidenden Stadt machte – symbolisierten Fortschritt und Entwicklung. Es waren aber nicht nur die eigenen natürlichen Grundlagen, die ausgebeutet wurden. Der Reichtum Europas und der USA verdankt sich auch der Verarmung und Verwüstung weiter Teile der Peripherie. Das ehemals reiche und stolze Haiti ist ein krasses Beispiel: die erste unabhängige Republik von Schwarzen und Mulatten in Lateinamerika ist heute ein Armenhaus, das die eigene Bevölkerung nicht ernähren kann.
Der Ölschock der 1970er Jahre führte zu einer Teuerungswelle, die Ähnlichkeiten mit der gegenwärtigen Entwicklung aufweist. Ausgehend von gestiegenen Preisen von Rohstoffen, die viele Jahre billig aus Entwicklungsländern importiert wurden und den Lebensstil in Europa und den USA subventionierten, kam es gleichzeitig zu einer Wachstums- und Umweltkrise. Erstmals wurden die sozialen und ökologischen Kosten thematisiert, die durch Massenproduktion für den Massenbedarf entstanden waren. In Österreich war Hainburg das Schlüsselerlebnis, das den Widerspruch von Ökologie und Ökonomie symbolisierte. Das sozialpartnerschaftliche Österreich, das den sozialen Frieden der Nachkriegszeit geschaffen und verwaltet hat und unter Bruno Kreisky seinen Höhepunkt erreichte, stand gegen eine erstarkende Umweltbewegung. Auf der einen Seite waren Industrielle, die ihren Teil am Kuchen hatten, und Arbeiter, die ihren Teil am Kuchen forderten. Beide wollten, dass der Kuchen wächst, damit er verteilt werden kann. Auf der anderen Seite stand die Umweltbewegung, die Rückwärtsgewandte und Weitsichtige vereinte: Zum einen bestand sie aus NostalgikerInnen, die die Vergangenheit einer heilen Welt verklärten und ausblendeten, wie sehr auch sie von Warenwelt und Industrie profitierten. Es gab andererseits aber auch andere, deren Sorge die fehlende Nachhaltigkeit einer Gesellschaftsordnung ist, die auf Naturbeherrschung und Gewinnorientierung aufbaut. Nicht unwichtig zu erwähnen ist, dass es eine massive Kampagne der Kronen Zeitung war, die in Österreich die gewerkschaftlichen Betonierer nachhaltig diskreditierte und das Entstehen der Grünen Partei ermöglichte. Dies ist nur eine der vielen Widersprüchlichkeiten, die sich rund um das Thema Umwelt und Wachstum ranken.
Heute wiederholt sich dieser Konflikt in vielen aufstrebenden Staaten – allen voran den BRICs – Brasilien, Russland, Indien und China. In Brasilien zum Beispiel war die Bilanz des Neoliberalismus desaströs: Arbeitslosigkeit und außenwirtschaftliche Abhängigkeit hatten stark zugenommen, Armut und Landfrage blieben ungelöste soziale Probleme. Erst mit dem Amtsantritt Lulas, eines ehemaligen Gewerkschafters, änderte sich die Situation. Mit einer sozialpartnerschaftlichen Politik, die den Reichen höchste Gewinne und Millionen Armen den Aufstieg in die Mittelschicht ermöglichte, setzte eine Spirale kapitalistischer Dynamik ein, die an die Euphorie der Jahrzehnte nach dem 2. Weltkrieg erinnert. In wenigen Jahren sank die Armut deutlich und erstarkte die nationale Wirtschaftsstruktur.
Doch gleichzeitig gibt es massive Konflikte mit Umweltbewegungen, indigenen Gruppen und lokalen Bauernvereinigungen, die sich gegen Großprojekte stellen, die ihre Lebensgrundlage gefährden. Fabriken, Straßen und Kraftwerke, das sind die großen Investitionen, mit denen Lula Brasilien zu einer modernen kapitalistischen Nation machen will. Ein sozialdemokratisches Projekt, das nachholt, was Europa vor Jahrzehnten verwirklichte. Der Preis ist bekannt, weil er der gleiche ist wie seinerzeit: Die Rechnung zahlt die Umwelt. Das Agrobusiness, das die Gentechnik und Agrotreibstoffe forciert, setzt auf Monokulturen und gefährdet die kleinräumige Landwirtschaft, die oftmals von der Landlosenbewegung organisiert wird, mit ökologischem Landbau experimentiert und für den lokalen Markt produziert. Indigene Völker, die in Brasilien unvergleichlich mehr Rechte besitzen als in den USA, wehren sich gegen große Infrastrukturprojekte, weil diese ihren Lebensraum beschneiden.
Wachstum – Umwelt – EntwicklungDiesem komplexen Thema widmet sich die Vierte Österreichische Entwicklungstagung, eine gemeinsame Großveranstaltung von Entwicklungs- und Umweltorganisationen, zu der 300 – 400 TeilnehmerInnen erwartet werden. Die VeranstalterInnen bemühen sich dabei um innovative und unkonventionelle Herangehensweisen an das Thema, um neue Formen des Wissens und Lernens.
Zeit:
Von Fr., 14. bis So., 16. November 2008Ort: SoWi-Gebäude der Universität Innsbruck, Universitätsstraße 15, 6020 Innsbruck
Nähere Informationen:
www.entwicklungstagung.at Der Konflikt zwischen Umwelt und Wachstum ist schwerwiegend: Wachstumspolitik, die den Massenkonsum der Armen fördert, einerseits, von den Medien angeprangerte Umweltzerstörung im altbekannten Stil andererseits. Nicht nur die Rolle der Medien erinnert an österreichische Ereignisse. Daher ist es angeraten, mit vorschnellen Ratschlägen, wie mit den Widersprüchen umzugehen ist, die kapitalistische Entwicklung hervorbringt, sparsam umzugehen.
Immer noch sind es US-AmerikanerInnen und EuropäerInnen, die einen überdurchschnittlichen Teil der Ressourcen dieser Welt verbrauchen. Eine nachhaltige Entwicklung der Welt erfordert in erster Linie geänderte Arbeits- und Lebensweisen bei uns, erst in zweiter Linie in Brasilien und China. Dies ist auch die Richtung, in die Forschungseinrichtungen wie das „Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt, Energie“ und das Wiener „Institut für soziale Ökologie“ arbeiten. Die beliebteste Strategie nachhaltiger Entwicklung bei uns ist die Effizienzsteigerung, denn diese erfordert keinerlei Umdenken. Die Ressourceneffizienz durch den Einsatz von sauberen Technologien und Einsparungen hat aber klare Grenzen, weshalb es auch um eine Änderung von Lebensstilen und der Organisation von Arbeit und Produktion gehen muss. Suffizienz, d.h. ein gutes Leben, das Bescheidenheit als Wert anerkennt, ist eines der Schlagworte in diesem Zusammenhang. Die zentrale Herausforderung hierbei wird wohl die Organisation von Mobilität sein, denn ohne Abschied von einem Öl-basierten Verkehrswesen ist weltweit kein Klimabündnis möglich. Schließlich geht es auch um eine andere Form von Arbeit in quantitativer und qualitativer Form. Quantitativ geht es um Arbeitszeitverkürzung und neue Formen von Mischarbeit, die Pflegen und Gemeinschaftsarbeit aufwertet, und um eine Form des Produzierens, die sich nicht am kurzfristigen Gewinn, sondern an Nachhaltigkeit orientiert.
Die aktuellen Herausforderungen im Komplex von Wachstum, Umwelt und Entwicklung sind groß und bedürfen einer integrierten Sichtweise von Entwicklung, die die ganzheitliche Entwicklung aller Menschen fördert. Deshalb gilt es, bestehendes Wissen zu vernetzen und neues zu produzieren.
Andreas Novy, ao. Prof. an der Abteilung für Stadt- und Regionalentwicklung der Wirtschaftsuniversität Wien, ist Obmann des Mattersburger Kreises für Entwicklungspolitik und wissenschaftlicher Leiter des Paulo Freire Zentrums.Info: www.entwicklungstagung.at